
Türchen 23
Pair: Ragnar x Aurora
Kinks/Warnung: Triggerwarnung, Folter, Gewalt
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"Tks, diese Primaten...“, brummte Sun neben Ragnar. Der Tiger konnte ihm nur zustimmen. „Das ist abartig. Und wir sollen die Monster sein?“, murmelte er und sah sich ein wenig in dem kümmerlichen Raum um. Seine Nase zuckte wegen dem grässlichen Geruches und er wandte sich ab. „Gehen wir. Wir haben, was wir wollten...“ Der Träger des Kriegsgottes wandte sich ab und wollte seinem Bruder und Sun folgen, doch da hörte er plötzlich ein leises Wimmern. Seine Ohren zuckten und er drehte seinen Kopf in die Richtung, aus welcher er vermutete, das Geräusch gehört zu haben. „Hast du was..?“ „Sht!“, wies er Sun an und lief Stirn runzelnd tiefer in die Burg. Der Affe folgte ihm verwirrt, blieb aber stumm.
Beide blieben in der Dunkelheit stehen, bis erneut das Wimmern ertönte. „Verflucht, noch einer?!“, stellte Sun verärgert fest. Ragnar nickte, lief zielstrebig auf das leise Wimmern zu. Diese abartigen Menschen hatten noch mehr Gefangene?
Dank eines dritten Wimmerns konnte Ragnar den Standort des Opfers endlich ausmachen. Es brauchte nicht viel Kraft, als er sich gegen die Holztür stemmte und diese aus den Angeln brach. Ein dumpfer Schrei dahinter bestätigte ihm, dass er richtig lag. Sun und er schoben die Tür endgültig aus dem Weg. Sie erstarrten beide, als sie den Inhalt der maroden Zelle in Augenschein nehmen konnten.
„Das ist nicht wahr...“, hauchte Sun neben ihm. „Bastarde!“ Er fluchte weiter unverständliche Worte, während das nackte Mädchen vor ihnen zusammenzuckte und verzweifelt versuchte, sich ganz klein zu machen. Ragnar blinzelte. Irgendetwas tief in ihm zerbrach. Er wünschte, er könnte dieses ganze verfluchte Königreich mit all diesen abartigen, herzlosen Menschen zerfetzen! Es war eine Sache, die Thán zu foltern und schlimmer zu halten, als das eigene Vieh. Aber eine Menschenfrau? Dieselbe Rasse?
Das war für ihn unverständlich.
Aus einem Impuls heraus drückte er Sun seine Axt in die Hand. Der Affe wurde auf Anhieb still und musterte seinen Freund dabei, wie er seinen Mantel auszog und ganz langsam auf die Frau zulief. „Hey... keine Angst...“, murmelte Ragnar und blieb abrupt stehen, nachdem die Frau noch ängstlicher als zuvor zusammenzuckte und wimmerte. „Ha, du siehst eben beschissen beängstigend aus!“, wurde er von Sun aufzogen. „Ach halt deine Fresse.“, kommentierte der Weißhaarige nur, dann wandte er sich wieder der verletzten Menschenfrau zu.
Er verstand die Menschensprache nicht. Deshalb konnte er auch nicht wirklich viel zu ihr sagen. Stattdessen achtete er auf seine Körpersprache und näherte sich ihr, wie einem verletzten Rehkitz. Ganz vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter. Er ließ sich vor ihr auf die Knie sinken und hob dann seinen Mantel. Die Frau zuckte zurück, doch er konnte sie trotzdem packen und in seine Kleidung einwickeln. Sie wehrte sich nur kurz. Vermutlich war sie viel zu schwach für mehr.
Seine Augen wurden weich, als er die Frau in seinen Armen hochhob. Sie wog nichts! Absolut nichts.
Erneut flammte Wut in ihm auf und er musste ein Knurren unterdrücken. Das hätte sie nur noch mehr verängstigt. „Und was willst du jetzt mit ihr machen? Sie mitnehmen?“, fragte Sun kritisch. Ragnar brummte. „Hä?!“ „JA! Ich nehme sie mit zum Stamm!“, erklärte er lauter und lief einfach an dem Affen-Thán vorbei. „Das kannst du nicht machen! Wir haben noch nie Menschen Zutritt gewährt!“ „Das ist mir scheiß egal!“, erwiderte Ragnar genervt. Ein Wimmern erinnerte ihn an das kleine zerbrechliche Bündel in seinen Armen.
Er sah zu ihr herunter und bemerkte, dass sie ihn mit ihren grünen Augen anstarrte. Dieses Grün... es erinnerte ihn an die schimmernden Smaragde auf den heiligen Gewändern seines Stammes. Nur funkelten diese deutlich mehr. Ihre Augen... ihr Ausdruck schien völlig stumpf und leer zu sein.
„Keine Angst, ich tue dir nichts...“, murmelte er zu ihr. Auch wenn er wusste, dass sie ihn nicht verstehen konnte. Sie wimmerte weiter, jämmerlicher als zuvor. Seufzend überlegte er, was er tun könnte. Bis ihm etwas in den Sinn kam. Früher... als er noch klein war und Angst hatte... hatte ihre Mutter ihn an ihre Brust gezogen und geschnurrt. Das hatte ihn beruhigt, auch ohne zu wissen, was vorging.
„Ha, ich wette du weißt nicht, wie man schnurrt!“, ertönte die Stimme seines Gottes im Kopf. Ragnar ignorierte ihn gekonnt. „Willst du das echt durchziehen? Das Mädchen mitnehmen? Sie ist ein Mensch. Du brichst damit die höchste Regel.“, sprach Bishamon weiter. Er rollte nur die Augen. „Ein Regelbruch mehr oder weniger schadet auch nicht... und meine Schwester hat letztens den Menschenkönig eines fremden Königreichs zum Stamm gebracht. Da ist das hier echt nicht der Rede wert.“, gab er als gedankliche Antwort.
Dann trat er aus der finsteren Burg. Seine Augen gewöhnten sich schnell an das Mondlicht. Ragnar brauchte sich gar nicht umsehen. Wie er es bereits gedacht hatte, kam sein älterer Bruder auf ihn zu. Bishamon musste Amaterasu von seinem Fund berichtet haben.
Der Schwarzhaarige musterte zuerst sein kleines Bündel, dann Ragnar. Der blutverschmierte Thán wich keinen Zentimeter zurück, bemerkte allerdings, dass die Menschenfrau sich unerwartet an ihn presste. Verwundert sah er kurz nach unten. Tatsächlich. Sie versuchte sich vor Rengar zu verstecken, auch wenn sein Bruder kleiner war als Ragnar.
Seine Ausstrahlung konnte selbst sie als Mensch spüren.
Rengars tiefes Seufzen ließ Ragnar wieder Aufsehen. Resigniert schüttelte der Ältere den Kopf. „Bekomme ich überhaupt eine Erklärung?“, fragte er dann, was Ragnar zum Grinsen brachte. „Nein.“ Dann lief er an Rengar vorbei. Hinter ihm konnte er hören, wie sich Sun lautstark beschwerte. „Wie jetzt?! Du lässt das einfach so durchgehen?“ „Sun, wir wissen beide, wie stur er ist. Da komme ich nicht weit.“ „Aber...“
Ragnar blendete die Beiden aus. Stattdessen schwang er sich auf den Wagen, wo schon der gerettete und bewusstlose Schutzgottträger von Benten lag. Der Blauhaarige war umgeben von zwei Heilern, eingehüllt in diversen Schichten von Verbänden und einer dicken Decke.
Er war der Grund, warum die Thán diese Burg im Menschengebiet angegriffen hatten.
Vor 23 Jahren wurde er als 4-Jähriger vom feindlichen Waru-Königreich entführt und seitdem gefangen gehalten. Es war tragisch gewesen. Vor allem, weil er der Träger der Göttin der schönen Kunste war. Sie brauchte lange, um seinen Standort ausfindig zu machen. Es hatte schlussendlich die Hilfe eines Königs eines weiteren, fremden Menschenkönigreichs gebraucht, um ihn zu finden. Seine Befreiung war nicht weniger als eine Kriegserklärung gegen das Waru-Königreich.
Ragnar wollte sein kleines Bündel ebenso in die Obhut der Heiler geben, doch sobald er seinen Griff lockerte, verkrallte sie sich in seinem Arm. Verwundert sah er auf sie hinab. Sie hatte die Augen zugekniffen und schüttelte heftig den Kopf. Er blinzelte, verstand nicht ganz, was in ihr vorging. Zuerst wollte sie weg von ihm und jetzt wollte sie ihn nicht mehr loslassen?
„Ragnar, was hast du da?“, wurde er von einem der Heiler angesprochen. Er hob den Kopf und setzte sich seufzend auf den Wagen. „Eine weitere Gefangene. Ich nehme sie mit in den Stamm. Sie wurde nicht gut behandelt, hab sie in einem kleinen, verdreckten Raum gefunden.“ Der Heiler stellte keine weiteren Fragen, warum er ausgerechnet einen Menschen mitnahm. Er rutschte einfach weiter an Ragnar heran und wollte den Mantel etwas zur Seite drücken, um die Verletzungen anzusehen. Doch die Menschenfrau zuckte, fing an zu strampeln und wimmerte jämmerlich. „Hey, lass mich mal. Ich glaube, das ist besser.“, sprach der zweite Heiler, eine Frau, sanft zu ihrem Kollegen. Dieser nickte und wandte sich wieder dem anderen Verletzten zu.
Die Frau schob ihre Kapuze vom Kopf und lächelte die Menschenfrau in Ragnars Armen warm an. „Ich werde dir nichts tun.“ Ragnar blinzelte, als er die Sprache plötzlich nicht mehr verstand. Dann realisierte er, dass die Heilerin die Menschensprache verwendete. Was auch die Heilerin sagte, es half etwas. Das kleine Bündel ließ langsam von Ragnar ab, bis sie in den armen der Heilerin zusammenbrach. „Ich kümmere mich um sie. Geh nur.“, teilte diese ihm mit.
Der Weißhaarige nickte, dann schwang er sich wieder aus dem Wagen. Er musste noch etwas erledigen. Dafür nahm er seine Streitaxt aus Suns Armen wieder an sich und wendete sich nach Osten. Ungefähr in diese Richtung waren die wenigen Überlebenden geflohen...
Er verspätete sich etwas und kam zur Mittagszeit im Stamm an. Er wurde bereits vom Stammesoberhaupt, seinem Vater, erwartet. Murrend stand er mit vor der Brust verschränkten Armen am Tor des großen Holzzaunes, welches das Dorf umgab. „Du bist spät.“, kommentierte er noch mürrischer, als er aussah. Wortlos lief Ragnar einfach an ihn vorbei. Er war nicht darauf aus, sich irgendwie zu erklären. Auch wenn er bereits alles wusste. Die Götter stritten sich. Sie waren sich uneinig wegen Ragnars Menschenfrau.
Allerdings vergaßen sie, dass er nicht nachgeben würde. Schutzgötter hin oder her. Er hatte sich entschieden. Er würde die Menschenfrau behalten, ganz einfach.
„Was geht nur in deinem Kopf vor sich, Junge?“, bluffte sein Vater hinterher. Er blieb trotzdem nicht stehen, weshalb der mittlerweile betagte Krieger hinterherlaufen musste. „Glaubst du, dass ich das einfach so akzeptieren werde?! Deine Sturheit zum Trotz -“ Ragnar wirbelte herum. „Nichts wird mich davon abbringen! Weder die Worte der Götter, noch deine! Ich bin der Träger des Kriegsgottes. In Kriegszeiten habe ich eine große Entscheidungsgewalt! Wir sind im Krieg! Und Bishamon hat nichts dagegen.“
Er hörte die Stimme des Kriegsgottes resigniert aufseufzen. „Aber nur weil du zu stur bist. Außerdem bin ich neugierig, wohin das ganze führt.“ Ragnar ignorierte ihn.
„Meine Schwester hat den Menschenkönig von Akia hier angeschleppt. Wenn man mich fragt, ist das sehr viel schlimmer als eine einfache, schwächliche Menschenfrau.“ „Er ist wieder gegangen.“, antwortete sein Vater streng und packte Ragnar am Unterarm. „Hör zu Sohn. Ich will nur nicht, dass du aus einer Laune heraus, getroffene Entscheidungen später bereust. Als Schutzgott-Träger, vor allem als Kriegsgott, musst du deinen Stamm immer an erster Stelle stellen!“
Für einen kurzen Moment starrten sich beide gegenseitig einfach nur an. Die lauschenden Thán um sie herum ignorierten beide gekonnt. Immerhin war es nicht das erste Mal und würde auch definitiv nicht das letzte Mal sein, dass beide in der Öffentlichkeit aneinandergerieten.
Wobei was war schon „öffentlich“? Die Thán hatten kaum Geheimnisse voneinander. Dass Ragnar eine Menschenfrau in den Stamm gebracht hatte, wusste mittlerweile jeder.
Ragnar war der Erste, der die Stille durchbrach. „Ich denke immer zuerst an den Stamm! Ich habe Izani wegen den Regeln des Stammes gehen gelassen. Ich hätte mir eine Zukunft mit ihr vorstellen können, aber eine Verbindung zwischen zwei Schutzgott-Trägern ist nun mal strengsten verboten!“ Er amtete tief ein und aus. „Die Menschenfrau wird uns keine Probleme bereiten. Sie weiß weder, wie sie hierhergekommen ist, noch wie sie wieder zurück kommt.“ Er drehte sich wieder um. „Und ich darf wohl einmal ein klein wenig egoistisch sein.“, murmelte er, während er davon lief und die große Hütte der Heiler ansteuerte.
Sein Vater blieb stehen. Zum Glück. Ragnar wusste nicht, ob er sonst nicht ausgerastet wäre. Sein Gemüt war ohnehin nicht das Geduldigste.
Vor der runden Hütte stand bereits Runan. Sein Zwillingsbruder. Bis auf den deutlich drahtigeren Körperbau und den kurzen Haaren ähnelten sie sich viel zu sehr. Zumindest äußerlich. „Was machst du hier?“, stellte er Runan sofort zur Rede. Dieser seufzte. „Du hast die Versammlung verpasst.“ Ragnar verdrehte die Augen. „Ist mir scheiß egal. Was machst du hier? Musst du deine Nase nicht in irgendwelchen Schriften stecken oder willst du mich jetzt ähnlich wie Vater belehren, dass-“ „Ich habe mich freiwillig gemeldet und nehme mich dem Träger von Benten an. Er war 23 Jahre nicht im Stamm und wurde vermutlich ständig gefoltert.“ Runans Blick wurde weicher und eine Spur trauriger. „Er wird alles vom Stamm vergessen haben. Ich werde ihm alles beibringen, was er wissen muss und auf ihn aufpassen.“
Ragnar hob eine Augenbraue. Jetzt musterte er seinen Bruder eingehender und bemerkte erst richtig dessen angespannte Körperhaltung. „Du hast seinen Zustand gesehen.“, stellte er dann fest. Runan nickte und biss sich auf die Unterlippe. „Es ist einfach grausam...“ Ragnar nickte, bevor er Runan auf die Schulter klopfte. „Du bist der Richtige dafür. Bring ihm alles bei!“
Er wollte schon weiterlaufen, doch sein Bruder hielt ihn auf. „Du willst dich um diese Menschenfrau kümmern?“ Genervt seufzte er. „Jaaaaa.“, erwiderte er langgezogen und peitschte mit seinem Tiger-Schweif. Langsam ging ihm echt die Geduld aus!
Ein trockenes Lachen ertönte. „Das ist eine echt beschissene Idee.“ Gut, jetzt reichte es. Der Weißhaarige wirbelte herum und funkelte seinen Zwillingsbruder herausfordernd an. „Ach ja? Warum?!“
„Ganz einfach. Weil du definitiv nicht emphatisch genug dafür bist. Du hast keine Ahnung von Gefühlen, du kannst dich echt schlecht in andere hineinversetzen. Du bist ein Grobmotoriker, hast Aggressionsprobleme und keine Geduld für absolut gar nichts.“ Runan lehnte sich gegen einen der Stützpfeiler des Vordachs. „Und von Frauen hast du erst recht keine Ahnung.“
Ragnars Augenbraue zuckte gefährlich. Ein lautes Knurren drang aus seiner Kehle, was seinem Bruder in keinster Weise beeindruckte. „Wenn du wegen meinen Worten schon knurrst, tut sie mir noch mehr Leid!“, stichelte er. Bevor Ragnar sich auf ihn werfen konnte, tippte ihn jedoch plötzlich jemand gegen den Unterarm. Zischend drehte er sich zu dem Störenfried herum, nur um seiner Mutter gegenüber zu stehen.
Die schwarzhaarige Thán lächelte ihn sanft an. „Keine Sorge, das wird schon. Ich kann dir helfen, wenn du willst.“ Verwundert blinzelte er sie an. Er hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet seine streng gläubige Mutter die Menschenfrau akzeptieren würde. Die gut einen Kopf kleinere Frau rammte unsanft ihren Ellenbogen in seine Seite. „Sie muss eine ganz besondere Frau sein, wenn sie deine Aufmerksamkeit so auf sich gezogen hat!“
Ah, daher kam ihr Umschwung. Während Bishamon ihm ins Ohr lachte, murrte er ähnlich wie sein Vater zuvor und rieb sich die schmerzende Stelle. „Ich will sie nicht gleich zu meiner Gefährtin machen...“, brummte er verstimmt. „Mutter.“, ergriff Runan das Wort. Sie hob gleich ihren Zeigefinger, um ihn das Wort abzuschneiden. „Und du mein Lieber passt gut auf Bentens Träger auf! Es braucht vermutlich dein gesamtes Können, um ihn seine inneren Dämonen zu nehmen.“ Sie lächelte ihre Söhne an. „Wehe ihr vermasselt es!“
Ragnar seufzte. Er ließ beide einfach stehen und ging endlich in die Hütte. Die Heilerin vom Wagen kam ihm sofort entgegen, sobald sie ihn sah. „Sie heißt Aurora. Neben Schürfwunden, einigen blauen Flecken, einer Unterkühlung und deutliches Untergewicht hat sie zum Glück keine schwerwiegenden Verletzungen. Das Fieber müsste in den nächsten Tagen auch schnell sinken.“ Ragnar nickte. „Okay. Wo ist sie?“
Die Heilerin sah kurz zu Boden, bevor sie ihn wieder ansah. „Ich weiß nicht... ob sie Männer gerade ertragen kann.“ Er runzelte die Stirn. Dann kam ihm eine böse Erkenntnis, noch bevor sie es aussprach. „Sie wurde deutlich misshandelt... Ragnar sie haben ihr die Zunge herausgeschnitten. Ich weiß den Grund nicht, aber sie...“
Ein plötzlicher Drang sie zu sehen und zu beschützen, stieg in ihm auf. Er schob die Heilerin bei Seite, ließ seine Instinkte übernehmen und versuchte ihren Geruch zwischen all den verschiedenen Kräutern, Blut und anderen Dingen herauszufiltern. „Ragnar, das ist keine gute Idee...!“, versuchte die Heilerin noch, doch er setzte sich schon in Bewegung. Die große Hütte war in mehreren Zimmern unterteilt. Er steuerte auf eines der hinteren zu. Es kümmerte ihn nicht, dass die Heilerin kaum hinterher kam.
Er wollte sein kleines Bündel einfach sehen! Er musste es selbst sehen!
Außerdem wünschte er sich gerade, dass er diesen Menschen einen sehr viel langsameren und qualvolleren Tod gegeben hätte...
Ragnar riss die Tür definitiv zu heftig auf. Sein kleines Bündel in Form einer rothaarigen jungen Frau schreckte fürchterlich zusammen. Sie fiel beinahe vom Bett, starrte ihn einfach nur mit ihren weit aufgerissenen, smaragdgrünen Augen an. Der Kriegsgott-Träger blieb einfach stehen. Er war fast so breit wie der Türrahmen und konnte gerade mal eintreten, ohne sich den Kopf anzustoßen. Im Nachhinein fiel ihm ein, dass seine Erscheinung – immer noch Blutüberströmt – vermutlich nicht die Beste war und sein Bündel jedes Recht hatte, schreiend von ihm zu weichen.
Trotzdem schaffte er es nicht, sich abzuwenden.
Sie wurde gewaschen. Ihre dreckigen Haare glänzten beinahe wie Feuer. Ihr Körper war in warme Kleidung seines Stammes gehüllt worden. Sie trug seine Farben und das Zeichen des Kriegsgottes, vermutlich als Kennzeichen, dass sie zu ihm gehörte. Sie hatte allgemein etwas mehr Farbe im Gesicht bekommen und sah deutlich besser aus, auch wenn es nicht einmal einen ganzen Tag her war, dass er sie gefunden hatte.
Er musste blinzeln, als ihr erster Schreck sich anscheinend gelegt hatte und sie plötzlich versuchte, vom Bett aufzustehen. Aber nicht, um von ihm wegzukommen. Sie wollte auf ihn zu gehen. Verwundert schüttelte er den Kopf und hob seine Hände. Er wollte nicht, dass sie schon aufstand. Was sie nicht daran hinderte. Bevor er es überhaupt realisierte, lief sie auf wackeligen Beinen auf ihn zu und warf sich in seine Arme.
Erstarrt blieb er einfach stehen, bis er ihr Zittern bemerkte. „Hey, schon gut...“, murmelte er leicht unsicher, lehnte die Tür einfach nur an und hob ihren Körper vorsichtig hoch. Sie klammerte sich an ihn, drückte sich an seine dreckigen Klamotten und vergrub ihr Gesicht in seinen Haaren. Langsam strich er über ihren Rücken und lief zurück zum Bett. Dort ließ er sich nieder, versuchte sie von sich zu pflücken, doch sie klammerte sich wie ein Klammeräffchen an ihn.
Seufzend nahm er sein Schicksal hin und begann unterschwellig zu schnurren. Das schien sie zu beruhigen. Sie entspannte sich und lehnte sich gegen ihn. „Aurora...“, brummte er ihren Namen und hatte somit ihre Aufmerksamkeit. Scheu starrte sie zu ihm hoch, was ihn warm Lächeln ließ. Er hob seine Hand, fror jedoch mitten in der Bewegung ein, als er ihr Zucken bemerkte.
Sein Herz wurde schwer und langsam ließ er seine große Hand wieder sinken und legte sie neben sie aufs Bett. „Ich werde dir nichts tun. Dir wird niemals mehr jemand weh tun!“ Er wusste, dass sie nichts verstand. Hoffentlich kam wenigstens seine Intention dahinter an. Er würde sie beschützen. Sie sollte nie wieder so leiden müssen!
~*~
Ein paar Wochen später saß Ragnar mit Aurora in seiner Hütte am Tisch. Zwischen ihnen war ein Buch mit Zeichensprache aufgeschlagen, welches er sich von Runan geliehen hatte. Er selbst hatte bereits ein wenig Erfahrung in den verschiedenen Zeichen, da man es allen Thán von klein auf beibrachte. Doch Aurora musste alles neu lernen.
Er wusste nicht warum, aber die Rothaarige hatte einen Narren an ihm gefressen. Kaum war sie einigermaßen erholt, war sie ihm überall hin hinterhergelaufen. Seine Mutter hatte vermutet, dass sie ihn einfach als ihren persönlichen Beschützer ansah, weil er sie aus diesem Raum gerettet hatte und sonst niemanden als Bezugsperson im Stamm hatte. Deshalb hatte seine Mutter auch vorgeschlagen, dass die Menschenfrau ruhig bei ihm einziehen konnte.
So kam es, dass er nicht mehr allein in seiner Hütte wohnte. Die Rothaarige war zunächst sehr zurückhaltend gewesen. Sie wäre vermutlich gar nicht aus der Hütte gegangen, wenn Ragnar nicht ständig im Dorf unterwegs gewesen wäre. Durch den andauernden Krieg, musste er laufend auf Patrouillen, da sein älterer Bruder als Anführer der Kriegsmacht aktuell im verbündeten Akia-Königreich Kriegspläne schmiedete.
Weil er nicht wollte, dass Aurora auch auf die langen Strecken mitkam, hatte er sie immer bei seiner Mutter untergebracht. Diese hatte die Menschenfrau sofort in ihr Herz geschlossen und eigentlich schon als festen Bestandteil der Familie akzeptiert. Naja. Wenn sich Ragnar nicht ständig gegen ihre unterschwelligen Kommentare wehren würde, wäre sie bestimmt schon offiziell ein Familienmitglied geworden.
Seufzend formte er mit seinen Fingern ein paar wenige Zeichen.
„Wie geht es dir?“
Seine tägliche, erste Frage. Die Rothaarige lächelte vorsichtig, hob ihre Hände und antwortete. „Ein bisschen besser. Wie geht es dir?“ Er musste schmunzeln und zeigte ihr einfach seinen Daumen nach oben. Daraufhin rollte sie mit den Augen und deutete erneut Zeichen. „Sei nicht so faul. Erzähl mir mehr! Wie waren die Patrouillen? Wieder Feinde gesehen?“
Er runzelte die Stirn. Sie sah gar nicht mehr ins Buch und ihre Finger wurden jeden Tag geschickter. „Du lernst mit Runan, oder?“, fragte er dann, während er gleichzeitig die entsprechenden Zeichen formte. Sie nickte und wurde tatsächlich ein wenig rot um die Nase. Ragnar blinzelte. Es erwischte ihn eiskalt. „Süß.....“, wisperte er leise.
Leider verstand Aurora das trotzdem und lief jetzt knallrot an. Sie wedelte hektisch mit den Händen vor ihrem Gesicht und schüttelte heftig den Kopf. Das wiederum brachte den Weißhaarigen zum Lachen. Er fasste sich ins Gesicht und rieb über seine Nasenwurzel, bevor er aufstand und ihr den Kopf tätschelte.
Er lief zur Kochstelle und holte den fertig gebrühten Tee vom Herd, um ihr und sich eine Tasse davon einzuschenken. Dann kam er wieder zum Tisch und reichte es ihr. Ragnar wurde stumm und starrte in das heiße Getränk, bis er seufzte. „Hast du dir eigentlich Gedanken darüber gemacht, ob du nach Hause willst?“
Sie kam aus dem Akia-Königreich. Das hatte er später herausgefunden. Sie war die Tochter von einem angesehenen Ritter von König Shanks und wurde vom Feind vor ein paar Jahren entführt.
Ragnar hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, ob Aurora sobald sie vollständig genesen war, wieder heim wollte. Immerhin war sein Stamm für sie ein fremdes Königreich und er hätte sie verstehen können.
Doch ihr Kopf schütteln verstand er nicht wirklich. Verwundert musterte er sie. Erneut wurde sie etwas rot und hob die Hände, um sich etwas zu erklären. „Ich will vorerst bei dir bleiben, wenn das okay ist.“ Er nickte langsam und sah dann aus dem Fenster, um seine Gedanken nachzugehen. „Das ist okay...“, murmelte er.
Wer hätte das gedacht?
„HEY RAGGI!“ Suns liebreizende Stimme unterbrach seine Gedanken und knurrend stellte er die Teetasse ab. Genau zur richtigen Zeit, denn der Affen-Thán stürmte einfach durch seine Tür ins Haus und grinste beide an. „Hast du sie schon zum Fest morgen eingeladen? Meine Frau besteht darauf, ihr ein passendes Kleid zu nähen.“ „Da bist du um Längen zu spät, meine Mutter müsste gleich vorbei kommen...“, brummte Ragnar als Antwort. Dann bemerkte er die fragenden Blicke von Aurora und lächelte sie sanfter an.
„Morgen feiern wir den Geburtstag unserer Schutzgötter. Sie alle wurden am selben Tag von ihren Eltern, Izanagi und Isanami, erschaffen.“ „Das wird ein großes Besäufnis mit köstlichem Essen, ein großes Lagerfeuer und vielen Tänzen!“, fiel ihm Sun ins Wort. Ragnars Augenbraue zuckte gefährlich. Als der Affe noch ein wenig vor Auroras Nase auf und ab hüpfte, nahm er ihn einfach kurzerhand in den Schwitzkasten. „Wenn du nicht mit aufs Fest gehen willst, ist das auch vollkommen in Ordnung.“, teilte er ihr mit und drückte Sun noch ein wenig mehr die Luft ab, als dieser etwas sagen wollte. War bestimmt nur ein dummer Kommentar. Kurz überlegte er, dann sah er weg und spürte, wie er auch ein klein wenig rot um die Nase wurde.
„Ich... ich würde mich allerdings freuen, wenn du … naja du weißt schon...“ Er schluckte. Das war schwerer als gedacht. „Du stellst dich aber an, Junge.“, hörte er Bishamon, was sein Gesicht nur noch dunkler färbte. Sun in seinem Griff brabbelte ungefähr dasselbe.
Ragnar peitschte aggressiv mit seinem Tiger-Schweif. „Haltet die Klappe, alle beide!“ Mit Schwung warf er Sun aus seinem Haus. Bevor er sich auf ihn stürzten konnte, hielt er kurz in der Tür inne und sah zu Aurora. „Ich... naja wenn du mich begleiten würdest, würde mich das echt freuen...“ Er kratzte sich nervös am Kopf. Eine Antwort konnte er nicht mehr sehen. Er war damit beschäftigt, Sun durchs Dorf zu jagen, der lachend von ihm davonlief.
Am nächsten Abend band sich Ragnar seinen festlichen Umhang um die Schultern. Er ließ die Streitaxt ausnahmsweise mal zurück und trat aus seinem Zimmer. Gleichzeitig öffnete sich die gegenüberliegende Tür und offenbarte Aurora. Seine Augen weiteten sich, als er sie in dem festlichen, dunkelblauen Kleid mit weißen Fellanteilen musterte. „Du... siehst...“, stotterte er und rieb sich verlegen den Hinterkopf, bevor er sich räusperte. „Das Kleid steht dir.“
Sie lächelte ihn strahlend an. Dabei erreichte es endlich ihre Augen. Der Glanz darin war zurückgekehrt und das freute ihn. Ragnar räusperte sich und bot ihr seinen Arm an. „Dann wollen wir mal, oder?“ Sie nickte.
Zusammen liefen sie zum Hauptplatz, vor dem Hauptgebäude. Dort wurde bereits das riesige Lagerfeuer angezündet und die Ersten tanzten ausgelassen zur Musik. Ragnar war insgeheim froh, dass sie etwas zu spät dran waren. So musste er wenigstens nicht die Tänze eröffnen oder ähnliches nerviges. Er konnte sich einfach an den Tisch der Schutzgott-Träger setzen. Aurora zog mit sich.
Die Rothaarige fühlte sich sichtlich unwohl, weshalb er das Tischende wählte, wo kaum jemand saß. Seinen älteren Bruder erkannte er bei seinem Vater, seinen Zwillingsbruder sah er erst gar nicht. Vermutlich steckte seine Nase wieder in irgendwelchen Büchern...
Auroras zarte Hand auf seinem Unterarm lenkte seine Aufmerksamkeit auf sie. Sie deutete auf einen Punkt, am Rande des Festes und er erkannte den blauhaarigen Träger von Benten, sowie seinen Bruder. „Er ist tatsächlich hier...“, murmelte er leise. Die Rothaarige lächelte und zeichnete ein paar Worte. „Er wollte V bestimmt das Fest zeigen. Es ist wunderschön.“ Ragnar konnte nicht anders, als zurück zu lächeln. „Dann genieße es.“
Er reichte ihr einen Teller und deutete auf die Speisen am Tisch. Ziemlich schnell kam auch jemand und reichte ihnen etwas zu trinken. „Ich würde aufpassen, der Alkohol steigt schnell in den Kopf.“, warnte er sie, bevor er den Krug in einem Zug austrank und gleich einen neuen bekam. „Und er trinkt viel zu viel davon.“, ertönte Rengars Stimme auf Ragnars anderer Seite. Der Schwarzhaarige lehnte sich über seinen Bruder und reichte Aurora die Hand. „Hey, lange nicht mehr gesehen. Du siehst gut aus!“ Dabei verwendete Rengar die Meschensprache, obwohl Aurora mittlerweile die Sprache der Thán auch verstand. Zumindest grob.
Prompt errötete sie und wedelte mit den Händen. Ragnar seufzte und stieß Rengar in die Seite. „Hör auf, du überforderst sie.“ Der Schwarzhaarige ruderte zurück. „Oh, das wollte ich nicht! Habt einfach ein wenig Spaß, ja?“ Er lehnte sich zurück, bevor sich sein ausgelassener Ausdruck veränderte. Er wurde leiser, sodass nur noch Ragnar seine nächsten Worte hören konnte. „Wir ziehen in zwei Tagen in den Krieg. Morgen zum Abendessen ist die letzte Besprechung, komme nicht zu spät.“
Sein Herz machte einen Sprung und er nickte. „Geht klar.“
Bevor Rengar aufstand, schlug er Ragnar noch mal kräftig auf den Rücken. „Dann amüsiert euch!“ Er zwinkerte Aurora zu, dann verschwand er. Der Weißhaarige seufzte tief und griff nach einem neuen Krug. Er nuschelte etwas Unverständliches, dann trank er aus und griff zum Essen.
Er beobachtete die Tanzenden ein wenig und ging seinen eigenen Gedanken nach. Bis er von Aurora angestupst wurde. Fragend sah er sie an. Sie deutete auf die Tanzfläche und formte die Zeichen, ob er tanzen wollen würde. Überrascht betrachtete er sie. „Bist du dir sicher?“ Sie nickte entschlossen und griff einfach seine Hand, bevor sie aufstand und ihn hinter sich herzog.
Er stolperte fast über den Tisch, aber er folgte ihr, bis er sich plötzlich in der Mitte des Geschehens wiederfand. Normalerweise tanzte Ragnar nicht, was nicht bedeutete, dass er es nicht konnte. Er hatte nur nie einen Grund dazu.
Allerdings... fühlte es sich irgendwie richtig an, als sich Aurora an ihn presste und mit ihm um das Lagerfeuer tanzte.
Ihr Lachen erfüllte sein Herz und glücklich betrachtete er sie. Er war froh, dass ihr Lachen endlich wieder ihre Augen erreichten. Sie zuckte nicht mehr zurück, wenn er plötzlich seine Hand hob. Sie konnte Umarmungen wieder ertragen und sie teilte ihre Gedanken mit ihm. Ihre nächtlichen Albträume wurden weniger, ihre Ängste verschwanden von Tag zu Tag mehr, während ihr Vertrauen stärker wurde.
Deshalb ließ er sich einfach treiben. Er gab einem Gefühl nach, beugte sich etwas nach vorn und küsste sie auf die Wange. Aurora stockte und er befürchtete schon, dass er zu weit gegangen war, doch wieder erwarten kam sie naher und schlang seine Arme um seinen Hals. Da er sich nach unten gebeugt hatte, war das auch gar kein Problem. Überfordert umfasste er ihre Taille und starrte sie an. Sie grinste zurück. Da war es endgültig um ihn geschehen. Er legte seine Hände auf ihre Wangen und küsste sie auf den Mund.
Sie fühlte sich fantastisch an! Ihre Lippen waren weich und zart und schmeckten ein wenig nach dem Wein, den sie getrunken hatte. Er wusste sofort, dass er mehr davon schmecken musste! Er brauchte mehr von ihr! Sein rationaler Verstand schaltete ab, als er seine Zunge in ihren Mund stieß und den Kuss deutlich vertiefte.
Erst, als er ihr Wimmern durch den Kuss spürte, er Bishamon im Geist den Kopf schütteln sehen konnte und ihren Zungenstumpf fühlte, wurde er sich dessen bewusst, was er genau hier tat und taumelte zurück. Er entließ sie sofort von seinem Griff und ging auf Abstand. „Es tut mir Leid!“ Panik drückte ihm die Kehle zu. Er hatte sich so verhalten, wie all diese dreckigen Menschen vor ihm, die ihr so viel Leid angetan hatten! Das war unverzeihlich.
„Ich bitte um Verzeihung! Wir … ich sollte … bitte entschuldige mich.“ Er hatte absolut keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Deshalb tat er das, was ihm in der Schlacht beigebracht wurde: Rückzug. Da war es wirklich von Vorteil, dass sie sich mittlerweile durch die Tänze nur am Rand der Tanzfläche befanden. Schnell verschwand er und ließ sie stehen.
Im Nachhinein betrachtet vielleicht nicht sein bester Moment...
Ragnar blieb erst wieder stehen, als er sich schon auf der Hälfte des Weges zu seiner Hütte befand. Schwer atmend setzte er sich auf einen Baumstumpf und raufte sich die Haare. Wie dumm konnte er nur sein?! Da warf er einfach alles weg, was sie sich gemeinsam erarbeitet hatten, aus einem dummen Gefühl heraus?! Was zum Teufel war mit ihm bloß los?
„Du bist scharf auf sie, Junge...“, seufzte Bishamon monoton. „Du hast dich voll in sie verknallt. Komm darauf klar!“ „Klappe Bisha....“, brummte er leise. Verzweifelt schloss er die Augen. Was konnte er jetzt nur tun? Sie würde ihn nie wieder ansehen...
Ein leises Räuspern ließ ihn langsam seinen Kopf heben. Er blinzelte mit offenem Mund, als er vor sich Aurora erkannte. Sofort wieder von Panik ergriffen wollte er aufspringen, doch sie nahm seine Hände in ihre und schüttelte den Kopf. Dann kletterte sie einfach auf seinen Schoß und drückte sich an ihn. Dabei legte sie ihre Arme um seinen Oberkörper und vergrub ihre Nase an seiner Brust. „Aurora...“, sprach er ihren Namen aus und seufzte leise. „Ich wollte nicht...“ Er stoppte, als sie erneut mit den Kopf schüttelte und ihre Hände zurückzog, um Zeichen zu formen.
„Warum entschuldigst du dich?“
und
„Hast du das nur so getan oder hatte der Kuss eine Bedeutung?“
Er hielt inne. Starrte auf ihre Hände, dann in ihr Gesicht. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten ihn erwartungsvoll an und er konnte nur schlucken. Sanft legte er seine Hand auf ihre Wange und spürte, wie sie sich direkt in seinen Griff hineinlehnte. Sein Herz wurde schwerer. Der Gedanke daran, in zwei Tagen auf unbestimmte Zeit von ihr getrennt zu sein … sie hier allein zu lassen …
Oh bei den Göttern, Bishamon hatte recht! Er hatte sich verliebt!
Er befeuchtete seine Lippen und versuchte seine schwere Zunge zu bewegen, Worte zu formen. „Ich... hätte dich nicht ohne Erlaubnis einfach so küssen dürfen, bitte verzeih mir.“ Er wusste sofort bei ihrem Blick, dass sie ihm das nicht vorwarf. Sonst wäre sie ihm nicht hinterhergelaufen. Sonst wäre sie nicht hier, auf seinem Schoß. Sonst würde sie ihn nicht so ansehen.
Er schluckte erneut. Er musste es ihr sagen. Aber er wollte nicht, dass sie sich zu irgendetwas verpflichtet fühlte! Es war so verflucht schwer... „Spuck es aus Ragnar!“ „Klappe!“, zischte er in Gedanken und kappte die Verbindung zu seinem Gott. Den konnte er jetzt echt nicht gebrauchen!
Blinzelnd nahm er einfach seine Hand wieder von ihrer Wange, umfasste ihre Hände und formte die entsprechenden Zeichen mit ihren Fingern. Beim Zeichen für „Liebe“ ließ er seine Hände sinken und zog sie an seine Brust.
„Ich liebe dich.“, murmelte er dann leise und schloss die Augen.
​
~*~
Es war einmal...

